Männer- und Frauenseelsorge: Werden Rollenklischees zementiert?
Wer einen Blick auf die Angebote der Frauen- und Männerseelsorge in Pfarreien und Gemeinden wirft, kann schon mal stutzig werden: Stricken für Täuflinge in der Frauengruppe oder ein Nähtreff für Frauen bei der Erwachsenenbildung auf der einen, ein Abenteuer-Wochenende für Jungen oder Meißeln von Steinskulpturen für eine männliche Trauergruppe auf der anderen Seite. Aus moderner Perspektive klingen solche Angebote nach klischeehaften Rollenbildern: Frauen kümmern sich um Handarbeit und weiche Stoffe, während Männer mutig sind, Action suchen und Stein behauen. Sorgen solche Veranstaltungen dafür, dass im kirchlichen Kontext Stereotype über Frauen und Männer bestätigt werden?
"Gerade im lokalen Bereich gibt es in der Seelsorge durchaus Angebote, die stereotype Rollen bedienen", sagt Angela Kaupp, Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Koblenz-Landau. Das Problem daran: Traditionelle Rollenbilder werden auf diese Weise verfestigt. Frauen und Männern lernen unterbewusst, wie sie sich verhalten müssen und welche Aktivitäten und Interessen zu ihrem Geschlecht passen. Wer nicht in dieses Profil passt, so wirkt es, muss mit Abwertung leben. Es ist soziologisch erwiesen, dass Kinder und Jugendliche solche Vorstellungen von Geschlechterrollen aufnehmen und fortsetzen. Das führt dazu, dass sie auch im späteren Leben Scheuklappen haben, wenn es um das Thema Geschlechterrollen geht. Selbst auf die Glaubensausprägung und Religiosität von Frauen und Männern haben diese Rollenbilder Studien zufolge Einfluss, sagt Kaupp.
Einstiegsangebote in die Seelsorge
Dass es in der Seelsorge für Männer und Frauen Angebote gibt, die traditionelle Rollenbilder bedienen, streitet auch Aurica Jax, Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), nicht ab. Gerade für ältere Zielgruppen sei das der Fall. "Da gibt es zum Beispiel eine Handarbeitsaffinität bei älteren Frauen, die es bei älteren Männern so nicht gibt", so Jax.
Bei den Männern sieht das nicht anders aus. Auch dort gibt es vermeintlich männlich anmutende Kurse und Seminare, sagt Andreas Heek, Leiter der kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge der DBK. Dass es solche Veranstaltungen gibt, hat aus seiner Sicht einen einfachen Grund: Frauen und Männern soll der Weg in die kirchliche Gemeinschaft erleichtert werden, weil sie sich mit den Aktivitäten identifizieren können und sich so wohlfühlen. "Wir erleben, dass Männer auf solche Angebote, die zunächst stereotyp anmuten, mehr ansprechen, sodass sie gut als Einstieg wirken", so Heek. "Die Seelsorger in den Diözesen machen oft die Erfahrung, dass man keinen Mann zum Sprechen bringt, wenn man mit einer therapeutischen Männergruppe startet."
Und es gibt noch einen weiteren Grund für diese Art der Seminare und Veranstaltungen: Auf der Diözesanebene sowohl der Diözesen als auch der Verbände werde relativ gut reflektiert, dass die Angebote weit gefächert sind und viele Zielgruppen ansprechen, sagt Kaupp. Auf der Pfarrei- und Gemeindeebene sehe das zum Teil anders aus. Dort gibt es nicht überall die Kapazitäten, eine Vielzahl an unterschiedlichen Veranstaltungen für Männer und Frauen anzubieten. Die Frage ist dann, wer sich vor Ort engagiert und verantwortlich ist. "In den Gemeinden sind da häufig ältere und zum Teil konservative Gruppierungen stark, die diese Geschlechterstereotype überhaupt nicht hinterfragen wollen", so die Theologin.
In der Praxis läuft das dann oft auf Angebote für die Gläubigen hinaus, die sowieso aus dem Pfarreialltag bekannt sind. "Frauen, die nicht die typische katholische Biographie haben, werden so nicht erreicht", sagt Jax. Das sei ein Problem.
"Das ist das Ziel unserer Arbeit, nicht die Pflege von Stereotypen"
Doch auch, wenn die Einstiegsangebote stereotype Rollenbilder aufgreifen, ist Jax und Heek wichtig, dass es nicht dabei bleibt. Das Ziel der Kurse sollte es vielmehr sein, diese Rollenbilder zu hinterfragen und aufzubrechen. So werde beispielsweise noch heute Männern vermittelt, dass sie ihre Gefühle nicht zeigen dürften, weil das schwach sei. Wenn sie im Laufe von Gesprächsgruppen dann zugeben könnten, nicht der starke Handwerker im Haushalt sein zu wollen, sei das eine große Erleichterung für die Männer, so Heek. "Das ist das Ziel unserer Arbeit. Nicht die Pflege von Stereotypen."
Das läuft beispielsweise, indem explizit über die Rollenverständnisse gesprochen wird, die mit den Aktionen zusammenhängen und über die Belastungen, die das bedeuten kann. In den Kursen können diese stereotypen Erwartungen dann auch bewusst gebrochen werden. "Man muss die Menschen auch herausfordern. Warum sollte man nicht in der Frauengruppe mit Stein oder Metall arbeiten und in der Männergruppe etwas nähen?", sagt Jax.
Die oftmals getrennt laufenden Seelsorgebereiche für Frauen und Männer ganz aufzulösen, um die Gefahr der Stereotype umgehen zu können, halten weder Kaupp noch Jax oder Heek für sinnvoll. Eine Kooperation sei aber wünschenswert, so Kaupp. In einigen Bistümern würden gerade die Männer- und Frauenreferate zusammengelegt und oft auch noch die Familienseelsorge mit aufgenommen. "Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist, weil die Gefahr besteht, dass so Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwischt werden und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in den Hintergrund rücken", so die Theologin.
Zudem fühlten sich beispielsweise Männer von spirituellen Angeboten wie Sinnsuchen oder Exerzitien in gemischten Gruppen nicht so angesprochen, erklärt Heek. Auch die Gesprächsdynamik und -themen änderten sich bei Gruppen mit verschiedenen Geschlechtern. "Männer haben andere Assoziationen und Fragen zum Thema Religion und äußern diese zum Beispiel im Rahmen der Erstkommunionvorbereitung erst dann, wenn sie unter sich sind", sagt Kaupp. Solche Veranstaltungen können eine Möglichkeit sein, wie Männer und Frauen auch ohne Geschlechterstereotype Aktionen unter sich sein können. "Auch wenn wir Männerexerzitien anbieten, sind die Kurse voll", sagt Heek.
Wie eine moderne Seelsorge aussehen kann
Worauf muss also eine moderne Seelsorge für Männer und Frauen achten, die Gläubige erfolgreich anspricht, ohne Rollenklischees zu bestätigen? Für Andreas Heek ist es wichtig, dass die Männerseelsorge auf die Bedürfnisse der Männer Rücksicht nimmt, ohne sich gegen andere Geschlechtsgruppen zu richten. Das bedeute nicht, dass Männer nur noch mit Männern reden sollten, sondern dass gerade die Kommunikationsfähigkeit mit der Partnerin, Kindern oder mit Frauen allgemein gestärkt werden sollte. Vor allem Vater-Kind- oder Familienwochenenden seien hierfür eine gute Möglichkeit. Außerdem bestehe die Männerseelsorge nicht bloß aus Kursen und Seminaren, sondern auch aus Einzelgesprächen und Beratungsangeboten.
Für Angela Kaupp geht es bei moderner geschlechtersensibler Seelsorge darum, dass Geschlecht und Geschlechtergerechtigkeit in allen Feldern der Pastoral theologisch bedeutsam sind. Unterschiede zwischen den Geschlechtern und innerhalb eines Geschlechts seien ernst zu nehmen, ohne sie gegenseitig aufzuwiegen. Das kann auch geschlechterabhängige Veranstaltungen – beispielsweise in der Erstkommunionvorbereitung – notwendig machen, um gezielt Männer oder Frauen anzusprechen und auch Geschlechterfragen zu besprechen.
Obwohl die zweigleisige Seelsorge für Männer und Frauen also Sinn macht, sollten die Seelsorgebereich trotzdem offen für komplexere Lebensentwürfe sein, fordert Aurica Jax. Trans- oder intersexuelle Menschen wüssten oft gar nicht, wo sie sich einordnen und welche Angebote für sie gedacht seien. Bei der Anerkennung und Unterstützung für unterschiedliche Lebensentwürfe und Entscheidungen sieht sie noch großen Nachholbedarf in der Kirche. "Da sind wir im katholischen Raum noch ganz am Anfang."